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Auf der Suche nach Zuflucht

Jüdische Flüchtlinge in die und aus den böhmischen Ländern, 1933 - 1945

Das Thema des Projekts

Unter dem Druck der antisemitischen Ideologie und Praxis der Nationalsozialisten versuchten tausende jüdische Flüchtlinge - manche nur für kurze Zeit, andere für einen längeren Zeitraum - in den böhmischen Ländern Zuflucht zu finden. Als die Tschechoslovakei in den späten 30er-Jahren nicht mehr als sicherer Zufluchtsort galt, kehrte sich der Flüchtlingsstrom um. Das Ziel dieses Projektes ist es, das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge sowohl in die, als auch aus den böhmischen Ländern zu beschreiben, von der Machtergreifung Hitlers bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir denken, dass die Themen der jüdischen Immigration nach und der Emigration aus den böhmischen Ländern in engem Zusammenhang stehen und wollen beide zusammen im Rahmen eines Projekts behandeln. Gegenstand der Behandlung werden insbesondere die Politik der tschechoslowakischen Behörden gegenüber der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und dem Sudetenland sein, sowie die Auswanderungspolitik der tschechischen und deutschen Behörden nach der Okkupation und Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung und strengere Flüchtlingsregelungen zum europaweiten (wenn nicht sogar weltweiten) Trend. Viele Länder verstärkten die legalen und administrativen Beschränkungen durch Einschränkungen bei Grenzüberquerungen und dem Verweilen ausländischer Bürger auf ihrem Staatsgebiet. Diese Massnahmen wurden üblicherweise aufrechterhalten, auch unter dem Wissen der deutschen Verfolgung von politischer Opposition und Minderheiten. In vielen Fällen war die Flüchtlingspolitik nicht ohne antisemitische Motive.

Im Verlauf dieses Projekts wollen wir die folgenden Fragen beantworten: Wie spiegelten sich diese Trends in der tschechischen Flüchtlingspolitik wider, und wie verhielt sich die Erste Tschechische Republik gegenüber jüdischen Flüchtlingen, insbesondere solchen aus Deutschland und Österreich? In welcher legalen und materiellen Situation lebten diese Flüchtlinge auf tschechoslovakischem Staatsgebiet? Wie sind die tschechoslovakischen Behörden mit der Welle jüdischer Flüchtlinge aus dem Sudetenland umgegangen, und was war das Schicksal dieser Flüchtlinge? Wie viele Juden konnten erfolgreich emigrieren, nachdem die böhmischen Länder von Nazi-Deutschland besetzt worden waren, und was mussten diese dafür tun? Wie vielen gelang die Emigration nicht? Wie wurde die Situation der (jüdischen) Flüchtlinge von der tschechischen Gesellschaft aufgenommen? Wie wurde dieses Thema benützt und zu antisemitischer Propaganda missbraucht?

Mit der Ausnahme von ein paar Artikeln und Büchern wurde dieses Thema niemals seriös erforscht und beschrieben. Die meisten dieser Studien befassen sich vor allem mit dem Schicksal berühmter Persönlichkeiten, hauptsächlich mit kommunistischem oder sozialdemokratischen Hintergrund. Eine systematische Erforschung der tschechoslovakischen Flüchtlingspolitik fehlt. Im Gegensatz dazu wollen wir uns auf zwei Schwerpunkte konzentrieren:

  1. Die Flüchtlings- und Emigrationspolitik der tschechoslowakischen Behörden und später der Behörden der Protektorats Böhmen und Mähren; insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen Ländern
  2. Die Möglichkeiten und Schicksale gewöhnlicher Menschen, die versuchten, vor der Unterdrückung durch die Nationalsozialisten zu fliehen

Dieses Projekt ist die logische Fortsetzung der Bemühungen des Instituts Theresienstädter Initiative, das Schicksal tschechischer Juden während des Holocaust zu beschreiben. Seit 1992 wurden die Schicksale der aus Böhmen und Mähren deportierten Juden und anderen Theresienstädter Häftlingen erforscht und die Ergebnisse im Theresienstädter Gedenkbuch veröffentlicht. Das Institut Theresienstädter Initiative versucht gegenwärtig auch, das Schicksal derjenigen zu erforschen, die nicht mit Massentransporten deportiert wurden, aber dennoch eingesperrt waren oder versteckt werden mussten. Der letzte Stein, der noch in das Mosaik des Schicksals der tschechischen Juden eingefügt werden sollte, ist der der jüdischen Flüchtlinge.

Die Ziele des Projekts

Es gibt drei Hauptziele des Projekts - und diese hängen zusammen. Jedes dieser Ziele wird auf andere Weise zum Ergebnis führen:

  1. Historische Forschung und Vorbereitung einer Publikation: für Details, siehe unten.
  2. Die Sammlung von Information über einzelne Flüchtlinge: Die Information über einzelne Flüchtlinge und deren Schicksal wird systematisch gesammelt und in der Datenbank des Instituts Theresienstädter Initiative aufgezeichnet werden. Das wird nicht nur die statistische und demographische Auswertung verbessern, sondern wird uns auch ermöglichen, Information für Verwandte oder Forscher, die Information über bestimmte Personen benötigen, bereitzustellen.
  3. Ergebnisse für die Bildung und Erziehung: Der Zugang zu Flüchtlingen vor Unterdrückung bleibt ein wichtiges Thema und hat grossen erzieherischen Wert für die jüngere Generation. Aus diesem Grund versuchen wir, so viele Ergebnisse dieses Projekts wie möglich für die Erziehung zu verwenden. Wir werden hauptsächlich ausgewählte, persönliche Lebensgeschichten von Flüchtlingen veröffentlichen, sowie Dokumente, die in Schulen verwendet werden können. Diese Materialien werden wir über die Weiterbildungs-Website allgemein zugänglich machen.

Die wichtigsten Unterkapitel: eine kurze Beschreibung

Dieses Forschungsprojekt besteht aus einer Vielzahl von Unterkapiteln beziehungsweise Nebenthemen. Es folgt eine kurze Beschreibung der wichtigsten:

A. Immigration in die böhmischen Länder

1.

Tschechoslovakische Flüchtlingspolitik: Wir werden die legale und praktische Realisierung der tschechoslovaktischen Flüchtlingspolitik mit dem Hauptaugenmerk auf die böhmischen Länder analysieren. Ein Unterkapitel ist der Plan, alle deutschen (jüdischen) Flüchtlinge in vier Bezirken am Land zu konzentrieren. Des weiteren werden die Reaktionen auf die Welle jüdischer Flüchtlinge nach dem Anschluss von Österreich im März 1938 untersucht, sowie das tschechische Verhältnis zur Évian Konferenz. Das Münchner Abkommen und die gewaltsame Verlegung der tschechischen Grenze zugunsten Deutschlands verursachten grosse Flüchtlingswellen von tschechischen, deutschen und jüdischen Flüchtlingen. Wir werden uns auf die Sonderbehandlung der jüdischen Flüchtlinge konzentrieren, welche in einigen Fällen von der tschechischen Polizei zurückgeschickt wurden. Als Reaktion auf dieses Flüchtlingsdesaster wurde das Institut für Flüchtlingshilfe gegründet.

2.

Die Situation der jüdischen Flüchtlinge in den böhmischen Ländern von 1933 bis zum Münchner Abkommen: Die Hauptwellen jüdischer Flüchtlinge (hauptsächlich aus Deutschland und Österreich) sollten in deren vollem Ausmass und in ihrer ganzen Eigenart analysiert werden. Wir werden erforschen, wie die Flüchtlinge in der Tschechoslowakei ankamen, sowie ihren legalen Status und ihre Lebensbedingungen. Wenn möglich, werden wir ihre persönlichen Daten in unserer Datenbank aufzeichnen.

3.

Jüdische Flüchtlinge aus dem Sudetenland: Ein ähnliches Forschungsprojekt wird sich dieser spezifischen Gruppe jüdischer Flüchtlinge widmen.

4.

Die Hilfsorganisationen für die Flüchtlinge: Diese waren wichtige Stationen für viele Flüchtlinge. Wir werden ihre Aktivitäten, ihre Politik (insbesondere gegenüber jüdischer Flüchtlinge) und die Art, in welcher diese Agenturen mit den Behörden zusammenarbeiteten, erforschen.

5.

Die tschechische Gesellschaft und die jüdischen Flüchtlinge: Auf der Basis von Archiv- und gedrucktem Material werden die Reaktionen der tschechischen Gesellschaft, der politischen Parteien und anderer Organisationen zur Ankunft und zu Verbleib der jüdischen Flüchtlinge untersucht. Wir werden erforschen, wie die antisemitischen Organisationen und Presse dieses Thema missbrauchten.

6.

Jüdische Organisationen und jüdische Flüchtlinge: Wir werden die verschiedenen Reaktionen und Einstellungen jüdischer Organisationen in den böhmischen Ländern analysieren, insbesondere die wichtigsten Ereignisse in der jüdischen Politik, hauptsächlich die der Zionisten und der tschechischen und deutschen Assimilierten.

B. Auswanderung aus den böhmischen Ländern

1.

Ein- und Auswanderung vor der Okkupation: In den 1930er-Jahren waren viele jüdische Flüchtlinge in den böhmischen Ländern erfolgreich darin, Wege in andere Länder zu finden. Insbesondere nach dem Münchner Abkommen schlossen sich viele Juden aus dem Herzen der Tschechoslowakei der Welle der Emigranten an. Wir werden versuchen zu erforschen, wie Emigration für sie möglich wurde, und wie viele von ihnen letztendlich erfolgreich waren. Wir werden die Einstellung der tschechoslovakischen Behörden gegenüber der jüdischen Emigranten und die internationalen Aspekte der Situation analysieren, insbesondere die so genannte Stopford action, die Britische Hilfe für Emigranten, nicht nur für jüdische, aus der Tschechoslovakei.

2.

Auswanderung nach der Besatzung: Nach der Nazi-Okkupation der böhmischen Länder am 15. März 1939 stiegen die Versuche von Juden, zu emigrieren, rapide an. Wir werden die Politik der deutschen Okkupationsbehörden analysieren, sowie die Geschichte und Aktivitäten der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, welche im Juli 1939 eröffnet wurde. Eine damit verbundene Frage ist, wie sich nach der Okkupation der Zugang der autonomen tschechischen Behörden geändert hat, und in welcher Weise sie die deutschen anijüdischen Massnahmen inkorporierten.

3.

Jüdische Vereinigungen und Organisationen und die Auswanderung nach der Okkupation: Nach der Okkupation realisierten sämtliche jüdische Organisationen die Ernsthaftigkeit der Situation und unterstützten die Emigration aus den böhmischen Ländern. Wir werden hauptsächlich die Aktivitäten der jüdischen Gemeinden, der Zionisten und der tschechischen Assimilierten untersuchen, sowie anderer jüdische Gruppen, die sich zum Zweck der Emigration selbst organisierten.

4.

Emigration nach Palästina: Dieses Thema verdient spezielle Aufmerksamkeit. Wir werden die Aktivitäten des Palästinaamts (eine Zionistische Organisation, die britische Zertifikate zur legalen Immigration nach Palästina verbreitete) untersuchen, sowie die illegale Immigration nach Palästina (die sogenannte Alija Beth), die hauptsächlich von der Revisionistenflügel in der zionistischen Bewegung organisiert wurde.

5.

Emigration in andere Länder: Wir werden Versuche von anderen jüdischen Gruppen und Einzelpersonen dokumentieren, in Länder abgesehen von Palästina zu emigrieren und bis zu welchem Grad sie erfolgreich waren.

6.

Gefangene Emigranten?: Soweit möglich, wollen wir den Kriegsschicksalen der jüdischen Flüchtlinge aus den böhmischen Ländern folgen, und herausfinden wieviele von ihnen von dem Prozess der deutschen Endlösung der Judenfrage in anderen Ländern betroffen waren. Man weiss zum Beispiel, dass einige hundert tschechoslovakische Juden auf den Transporten Frankreich nach Auschwitz waren.

Quellen

  1. Archive: Die Hauptmaterialien, die wir verwenden möchten, sind: Ministerium für Innere Angelegenheiten, Landesbehörden, Polizeidirektorate, das Institut für Flüchtlingshilfe, das Reichsprotektoramt, das tschechoslovakische Flüchtlingshilfskommittee in Paris, das Tschechische Rote Kreuz in London, das Ministerium für Soziale Fürsorge in London, die Archive des jüdischen Museums in Prag, von Yad Vaschem und Beit Terezín in Israel.
  2. Gedruckte Quellen: Die reaktionen in der tschechischen und jüdischen Presse (und andere Publikationen) in Bezug auf die Flüchtlinge in den 1930er Jahren.
  3. Zeugnisse: Die Erinnerungen von Emigranten und anderen jüdischen Überlebenden stellen eine wichtige und oft unangetastete Quelle dar. Wir werden hauptsächlich Wissen von den Zeugnissammlungen des Jüdischen Museums in Prag beziehen, aber wir werden auch Zeugnisse in Yad Vashem und Beit Terezín einbeziehen.
  4. Literatur: Wir werden eine Reihe von Schulbüchern und im Ausland erschienenen Artikeln über die Flüchtlingspolitik und ihre Auswirkungen auf die Endlösung der Judenfrage verwenden. Bücher, die nicht in öffentlichen Bibliotheken verfügbar sind und die wir für das Projekt kaufen müssen, werden in der Bibliothek des Instituts Theresienstädter Initiative gesammelt und für andere Forscher zugänglich gemacht.

Zeitplan

Dieses Projekt ist langfristig - eine Reihe von Forschern wird über einige Jahre daran teilnehmen. Es sollte als Ergebnis eine Publikation hervorbringen, in der sämtliche Erkenntnisse zusammengefasst sind. Diese Publikation ist für das Jahr 2006 geplant. Einige Teilergebnisse könnten schon im Voraus in den Theresienstädter Studien und Dokumenten oder unter  www.holocaust.cz veröffentlicht werden.

Finanzierung

Das Projekt wurde von Juli bis Dezember 2002 von dem  Stiftungsfonds für die Opfer des Holocausts unterstützt. Derzeit sucht das Institut Theresienstädter Initiative weitere Möglichkeiten für die Unterstützung des Projekts.

Letzte Aktualisierung: 13. 1. 2003
Kontakt: institute@terezinstudies.cz
Webmaster: www_admin@terezinstudies.cz